Gegenwärtig
läuft die Vernehmlassung
zur Änderung der Verordnung 5 zum Arbeitsgesetz (ArGV 5).
Was nach einer eher technischen Angelegenheit tönt, entpuppt sich beim näheren
Hinsehen doch als eher problematische Angelegenheit. Inhaltlich geht es –
gemäss Begleitschreibens
des Seco - für Jugendliche in der beruflichen Grundbildung um die
Senkung des Schutzalters für gefährliche
Arbeiten von 16 auf 15 Jahre, damit sie nach dem Inkrafttreten des
HarmoS-Konkordates keine Schwierigkeiten bei der Lehrstellensuche haben.
Dabei gelten gemäss Artikel 4 dieser Verordnung 5 als „gefährlich“ alle Arbeiten, „die ihrer Natur
nach oder aufgrund der Umstände, unter denen sie verrichtet werden, die Gesundheit,
die Ausbildung und die Sicherheit der Jugendlichen sowie deren physische und psychische
Entwicklung beeinträchtigen können.“ Nun sind diese Gefährdungen nicht ganz harmlos,
wie die Präzisierungen des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft,
Bildung und Forschung (WBF) zeigen. Man versteht darunter zum Beispiel
- Arbeiten mit dem Risiko physischen, psychischen, moralischen oder sexuellen Missbrauchs wie Prostitution oder die Herstellung pornographischer Darstellungen;
- Arbeiten mit gesundheitsgefährdenden chemischen oder biologischen Agenzien;
- Arbeiten mit Maschinen, Ausrüstungen oder Werkzeugen, die mit Unfallgefahren verbunden sind, von denen anzunehmen ist, dass Jugendliche sie nicht erkennen oder abwenden können;
- Arbeiten, bei denen eine erhebliche Brand-, Explosions-, Unfall-, Krankheits- oder Vergiftungsgefahr besteht.
Wie
das etwa aussieht, kann am Beispiel der Bildungsverordnung
für den Maurerberuf illustriert werden. Da heisst es in Artikel
7 zum Thema Arbeitssicherheit,
Gesundheitsschutz und Umweltschutz:
3 In Abweichung von Artikel 4 Absatz 1 ArGV 5
können die Lernenden entsprechend ihrem Ausbildungsstand herangezogen werden
für Arbeiten mit Maschinen, Ausrüstungen oder Werkzeugen, die mit
Unfallgefahren verbunden sind, von denen anzunehmen ist, dass Jugendliche sie
normalerweise wegen mangelnden Sicherheitsbewusstseins oder wegen mangelnder
Erfahrung oder Ausbildung nicht erkennen oder nicht abwenden können.
4 Voraussetzung ist eine den erhöhten
Gefährdungen angepasste verstärkte Ausbildung, Anleitung und Überwachung; diese
werden in Leistungszielen zu Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz im
Bildungsplan festgelegt.
Die
Lernenden in der Berufsbildung können somit zu Arbeiten beigezogen werden, die
mit einer erhöhten Gefährdung verbunden sind. Dabei geht es um Unfallgefahren,
von denen anzunehmen ist, dass Jugendliche sie normalerweise nicht erkennen
oder nicht abwenden können. Mit angepassten Massnahmen zum Gesundheitsschutz will
man allerdings dem erhöhten Risiko vorbeugen.
Bereits
heute sind - offensichtlich trotz dieser begleitenden Massnahmen - rund 25‘000
Berufsunfälle in Lehrverhältnissen zu verzeichnen (Erläuternder
Bericht des Seco). Gemessen an den rund 200‘000
Lehrverhältnissen sind das 125 Unfälle pro 1000 Lehrverhältnissen, oder
jährlich passiert in jedem 8. Lehrverhältnis ein Unfall, der den Beizug einer
Unfallversicherung notwendig macht.
Besonders
hoch ist das Risiko – über alle Arbeitnehmer gesehen – in der Bauwirtschaft. Es
beträgt gemäss Grafik 1 rund 184.5 Fälle pro 1000 Vollbeschäftigte und ist damit
fast dreimal so hoch wie bei der Gesamtheit der Beschäftigten.
Gleichzeitig geht aus der SSUV
Fünfjahresstatistik hervor, dass in allen Branchen die Jugendlichen
besonders gefährdet sind. Die im Gesetz und in der bisherigen Verordnung 5
geäusserte Vermutung, dass Jugendliche „wegen mangelnden
Sicherheitsbewusstseins oder wegen mangelnder Erfahrung oder Ausbildung“
besonderen Risiken ausgesetzt sind, bestätigt sich somit. So weisen etwa 15-24
jährige Männer ein fast doppelt so hohes Risiko auf als die Gesamtheit der
berufstätigen Männer.
Diese
Zahlen sind eindeutig zu hoch und geben zu denken. Offensichtlich zeigt hier
der Übergang von der pädagogischen Logik der obligatorischen Schule zur
ökonomischen Logik der Berufsausbildung seine Auswirkungen: Wenn unter
wirtschaftlichem Druck produziert werden muss, wird der Gesundheitsschutz der
Jugendlichen sekundär. Jedenfalls ist es angesichts der überdurchschnittlich
häufigen Unfälle in Lehrverhältnissen und bei Jugendlichen nicht zu
verantworten, einfach das Schutzalter zu senken.
Dies
sieht auch das Seco so. Es ist deshalb vorgesehen, in den Verordnungsbestimmungen
den Unfallschutz auszubauen, Massnahmen der Arbeitssicherheit in den Bildungsplänen
zu verankern und vermehrt Expertinnen und Experten beizuziehen. Gleichzeitig werden
Präventionsmassnahmen und Kampagnen, die
sich an die Lernenden und die Ausbildner richten durchgeführt. Ziel ist es, in
den nächsten Jahren die Zahl der Berufsunfälle in der Lehrzeit zu halbieren.
Allerdings ist die Wirksamkeit dieser Massnahmen noch keineswegs gewährleistet,
da ja auch bisher gefährliche Arbeiten von Jugendlichen nur durchgeführt werden
durften, wenn entsprechenden Anleitungs- und Schutzmassnahmen ergriffen wurden.
Mit wenig Erfolg, wie die Zahlen zeigen.
Wenn
unsere Hypothese stimmt, dass die Berufsunfälle wesentlich durch die
ökonomische Logik beeinflusst sind, müssen auch die Massnahmen bei dieser
ökonomischen Logik ansetzen, zum Beispiel mit Sanktionen, falls das Risiko mehr
als 100 Unfälle pro 1000 Arbeitnehmende beträgt. Und wenn einzelne Betriebe
oder gar ganzen Branchen exzessive Unfallzahlen ausweisen, und damit anzeigen,
dass sie nicht in der Lage sind, die Gesundheit und Unversehrtheit der
Jugendlichen, die ihnen zur Ausbildung anvertraut werden, zu schützen, ist
ihnen die Berechtigung zur Berufsausbildung zu entziehen.
Fazit
Der
Vorschlag des Seco zur Änderung der Jugendarbeitsschutzverordnung führt zu folgenden
Feststellungen:
- Die Zahl der Berufsunfälle ist erschreckend hoch (Unfallstatistik 2013 bzw. Fünfjahresstatistik 2007 der SSUV). Dabei weisen die jüngeren Altersgruppen, bzw. die Lernenden in der Ausbildung ein überproportionales Unfallrisiko auf. Das sind wohl Auswirkungen des Wechsels von der pädagogischen Logik der obligatorischen Schule zur ökonomischen Logik der Berufsausbildung. In einzelnen Branchen ist das Risiko exzessiv hoch.
- Heute gilt die Grundregel, dass Jugendliche bis zum 18. Altersjahr nicht mit gefährlichen Arbeitssituationen in Kontakt kommen dürfen. Ausnahmen sind ab dem 16. Altersjahr für Lernende der Berufsausbildung erlaubt, wenn entsprechende Begleitmassnahmen zum Gesundheitsschutz ergriffen werden. Das Seco möchte nun diese Altersgrenze auf 15 Jahre senken.
- Da die Auflagen zu Begleitmassnahmen bisher nur wenig Wirkung zeigten, schlägt das Seco ein griffigeres Instrumentarium vor, ohne allerdings bei der ökonomischen Logik anzusetzen. Die Wirksamkeit dieser neuen Massnahmen ist denn auch noch keineswegs belegt.
Angesichts
dieses Sachverhaltes sind wohl folgende Konsequenzen angesagt:
- Da die Unfallzahlen mit der Jugendlichkeit der Arbeitsnehmenden bzw. der Lernenden zunehmen, ist angesichts des hohen ausgewiesenen Risikos eine Senkung des Schutzalters kaum zu verantworten.
- Die zusätzlichen Massnahmen, welche das Seco vorschlägt, sind zu unterstützen. Falls damit bis 2018, wie vorgesehen, die Halbierung der Unfallzahlen effektiv gelingt, und sich die Situation vor allem für die Jugendlichen entscheidend bessert, kann erneut über die Altersgrenze diskutiert werden. Allenfalls ist auch vorzusehen, bei der ökonomischen Logik der Unternehmen anzusetzen.
- Wenn einzelne Betriebe oder Branchen exzessiv hohe Unfallzahlen aufweisen, ist ihnen die Berechtigung zur Berufsausbildung zu entziehen. Sie sind offensichtlich nicht in der Lage, die Gesundheit und Unversehrtheit der Jugendlichen zu schützen, die ihnen zur Ausbildung anvertraut werden.
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