Jetzt ist wieder die Zeit der Lehrstellensuche.
Überall gehen SchulabgängerInnen auf die Suche nach einer passenden Lehrstelle, und Unternehmen halten Ausschau nach passenden Auszubildenden. Dabei wird die
Zeit schon etwas knapp, denn die Recherchen laufen schon seit Monaten.
So hat ein wichtiges Bundesamt bereits im August
des letzten Jahres in der Zeitung „Der Bund“ ein Inserat geschaltet, um eine
Lehrstelle als Kauffrau / Kaufmann zu besetzen. Aufgefallen sind dabei unter
anderem die Voraussetzungen, die eine Kandidatin oder ein Kandidat mitbringen
muss. Zuerst einmal werden nicht etwa Personen oder SchulabgängerInnen oder
einfach Jugendliche gesucht, sondern richtige „Persönlichkeiten“. Dazu werden
ausgezeichnete Deutschkenntnisse, ein guter schriftlicher und mündlicher
Ausdruck sowie das Beherrschen des Zehnfingersystems gefordert. Gewünscht sind
auch ein Flair für Zahlen, gute Fremdsprachenkenntnisse sowie
PC-Anwender-Kompetenzen in der Windows-Palette. Gleichzeitig gelten ein
freundliches Auftreten, Organisationstalent und der Auftritt als Teamplayer als
Grundbedingungen. Quasi ausgeschlossen werden Jugendliche, welche die
obligatorische Schule in einem Leistungstyp mit Grundansprüchen (im Kanton Bern
etwa Realschule genannt) absolvieren; sie haben nur dann eine Chance, wenn sie
ein weiteres 10. Schuljahr besuchen. Hier der entsprechende Ausschnitt:
Fähigkeiten wie Zehnfingersystem,
Organisationstalent, guter schriftlicher Ausdruck, Fremdsprachenkenntnisse und
Beherrschen der Windows-Palette (etwa Word, Excel, PowerPoint) werden ja in der
Regel bei voll ausgebildeten Kaufleuten nachgefragt und nicht bereits bei
Jugendlichen, welche erst eine entsprechende Ausbildung beginnen möchten. Das
Bundesamt scheint ein typisches Beispiel von Lehrbetrieben zu sein, welche hohe
Qualifikationen bei den Auszubildenden nachfragen. Diese sollen offensichtlich
möglichst rasch und mit möglichst geringem Betreuungsaufwand produktiv im
Alltagsgeschäft eingesetzt werden können - zu Lehrlingslöhnen natürlich. So
wird es denn auch möglich, dass die Ausbildungstätigkeit von Betrieben weniger
auf der Aufwandseite als vielmehr profitabel auf der Gewinnseite verbucht
werden kann. Gemäss dem schweizerischen Bildungsbericht 2010, der sich auf wissenschaftliche Studien stützt
(Mühlemann, Schweri, Winkelmann et.al. 2007 sowie Mühlemann, Wolter, Fuhrer et
al. 2007), ist es denn auch für eine Mehrheit der auszubildenden Betriebe sehr
wichtig, dass die anfallenden Ausbildungskosten bereits während der Lehre durch
einen entsprechenden Nutzen kompensiert werden. So werden in der Schweiz zwei
Drittel der Lehrverhältnisse mit einem Nettonutzen für die Betriebe
abgeschlossen, das heisst, das Lehrverhältnis rentiert für die ausbildenden
Firmen. Solche Befunde werden durch den Bildungsbericht 2014 bestätigt.
Es gibt allerdings auch Kehrseiten dieser
betrieblichen Strategien, vor allem hochqualifizierte SchulabgängerInnen zu
rekrutieren. Offensichtlich herrscht gegenwärtig ein Mangel an „geeigneten“
Lehrlingen, sodass zahlreiche Lehrstellen im Moment unbesetzt sind. Bundesrat
Schneider-Ammann möchte deshalb sogar Lehrlinge im Ausland rekrutieren. Margrit Stamm, Leiterin des Instituts für Bildungsfragen in Bern, bezeichnet auf der
Basis ihrer 2013 veröffentlichten Studie
solche Strategien als verfehlt: „ Die einseitigen Klagen
über die «fehlende Ausbildungsreife» sind wenig innovativ und bilden nur die
die eine Seite der Medaille ab. Denn wer zu sehr auf schulische
Kompetenzmerkmale setzt, schränkt den Kreis potenziell guter Bewerberinnen und
Bewerber stark ein und nutzt das Potenzial in keiner Art und Weise.“ Sie weist darauf hin, dass
das qualifikationsbezogene Passungsproblem, bei dem die
Leistungsvoraussetzungen der Stellensuchenden nicht den Erwartungen der
Betriebe entsprechen, das gewichtigste sei. Wichtiger als etwa das berufliche
Passungsproblem, bei dem die Betriebe Lehrstellen anbieten, welche nicht
nachgefragt werden.
Generell
ist wohl der abrupte Wechsel von einer pädagogischen Logik des Förderns, wie
sie in der obligatorischen Schule als massgeblich behauptet wird, zu einer
Logik der ökonomischen Gewinnorientierung im nachobligatorischen Bereich, nicht
problemlos. Für einen Grossteil der Jugendlichen wird Bildung im
nachobligatorischen Bereich auf die Ausbildung wirtschaftlich verwertbarer
Fähigkeiten limitiert, und die Vorbereitung auf andere wichtige
gesellschaftliche Rollen wird weitgehend vernachlässigt. Zudem treten beim
Übergang zahlreiche Schwierigkeiten auf und erfordern Hilfslösungen wie das
10.Schuljahr oder vielfältige Brückenangebote, welche eher den Anschein einer
Pflästerlipolitik erwecken, denn als Bestandteil einer soliden Gesamtstrategie
gelten können.
Gleichzeitig
wirkt diese Dominanz einer auf rein wirtschaftlich-berufliche Aspekte
eingeschränkten Sichtweise weit zurück in die obligatorische Schule. Diese muss
ja gemäss der Humankapital-Theorie möglichst klare Signale produzieren, um den
Auswahlprozess der Arbeitgeber zu erleichtern. Die formellen Selektions- und
Etikettierungsprozesse mit der Leistungsgliederung auf der Sekundarstufe I sind
dazu ebenso übliche Instrumente wie die Notengebung in den sogenannten
Kernfächern. Beides sind Auslesekriterien erster Güte, wenn es um die Besetzung
der Lehrstellen geht.
Dieser
abrupte Übergang, der auch eine frühzeitige Karriereentscheidung beinhaltet, führt
bei vielen Akteuren zu gewaltigem Stress: bei den Schülerinnen und Schülern in
erster Linie, bei ihren Eltern, bei den Lehrern, und auch bei den
Lehrbetrieben, und nicht zuletzt bei den politisch Verantwortlichen.
Entschärfen liesse sich diese Situation am einfachsten durch eine Fortführung
der obligatorischen Schulpflicht bis ins 18. Altersjahr, wobei eine erste
Aufgliederung der Bildungslaufbahnen, auch mit einer starken Präsenz der
Berufsbildung, ab dem 10. Schuljahr durchaus sinnvoll ist. Entsprechenden
Vorstellungen der Lehrpersonenverbände LCH und SER (2013) sind deshalb
aufmerksam zu verfolgen.
LCH / Dachverband Schweizer Lehrerinnen und
Lehrer und SER/ Syndicat des enseignants romands (2013). Bildung & Wirtschaft im Dialog. Thesen der Schweizer
Lehrpersonenverbände LCH und SER. 2. Schweizer Bildungstag 2013
Muehlemann, S., Schweri, J., Winkelmann, R., & Wolter, S.
C. (2007). An Empirical Analysis of the Decision
to Train Apprentices. In: Labour, 21(3), 419–441.
Mühlemann,
S.; Wolter, S. C.; Fuhrer, M. et al. (2007). Lehrlingsausbildung – ökonomisch betrachtet. Zürich: Rüegger
Schneebeli
Daniel (2013), Lehrfirmen tragen eine
Mitschuld. In: Der Bund vom 21.8.2013
SKBF -
Schweizerische Koordinationsstelle für Bildungsforschung. (2014).Bildungsbericht
Schweiz 2014. Aarau: SKBF.
SKBF -
Schweizerische Koordinationsstelle für Bildungsforschung. (2010).Bildungsbericht
Schweiz 2010. Aarau: SKBF.
Stamm Margrit (2013), Lehrlingsmangel - Strategien für die
Rekrutierung des Nachwuchses. Dossier Berufsbildung 13/2. Bern: Swiss
Institute for Educational Issues
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