Die Schweiz hat ein sehr gutes,
sogenanntes duales Berufsbildungssystem, bei dem nur der geringere Teil in der
Schule stattfindet, das Wesentliche hingegen in den Betrieben als
praxisbezogene Ausbildung erfolgt. Zwar ist die Schweiz nicht das einzige Land
mit diesem Modell, bei uns ist es aber doch besonders ausgeprägt.
Die duale Berufsbildung ist nicht nur weit verbreitet,
sie geniesst auch hohes Ansehen. So wird man im Umfeld des Eidg. Departementes
für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) nicht müde, dieses System
hochzuloben, und Bundesrat Schneider-Ammann meint gar, das Modell sei nicht nur
ein Erfolg, sondern sogar eine der Grundlagen unseres wirtschaftlichen
Wohlstandes (April
2013). Die praxisnahe Ausbildung sei eine fundamentale Stärke der Schweiz,
was auch zunehmend international erkannt werde.
Dies ist gemäss BR Schneider-Ammann
auch kein Wunder, weil die duale Ausbildung ganz besonders für die tiefe
Jugendarbeitslosigkeit in unserem Land verantwortlich sei (BR Schneider Ammann April
2013). Bereits früher hatte der Chef des WBF auf eine Arbeitslosenquote der
Jugendlichen von 2,9% hingewiesen (August
2012) und junge Menschen in anderen Ländern, wie etwa Italien oder
Frankreich, bedauert, die ohne Arbeit auf der Strasse stehen (Oktober
2012). Als Ursache der dortigen hohen Jugendarbeitslosigkeit macht BR
Schneider-Ammann eine, wie er es nennt, Über-Akademisierung fest, die sich etwa
in einer hohen Maturandenquote äussert (Oktober
2012).
Nun hat das schweizerische, praxis-
und wirtschaftsnahe, Berufsbildungssystem sicher viele Vorteile. Aber ist es
auch gleich noch ein wirksames Instrument zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit?
Grundsätzlich entsteht ja Arbeitslosigkeit vor allem dadurch, dass es zu wenig
Arbeitsplätze für arbeitswillige Personen gibt. Und als grobe Faustregel gilt,
dass es bei Hochkonjunktur, wenn die Wirtschaft mehr verkaufen und
produktiveren kann, mehr Arbeitsplätze, und damit eine kleinere
Arbeitslosigkeit, gibt. Und bei einer Konjunkturflaute gilt das Gegenteil. Und
nun sind also nicht mehr der Lauf der Wirtschaft, sondern die Modalitäten der
beruflichen Grundausbildung der wesentliche Faktor für die Bewegungen auf dem
Arbeitsmarkt? Seltsam!
Jedenfalls hat uns kürzlich eine Medienmitteilung
des Bundesamtes für Statistik aufgeschreckt, welche von einer
Jugendarbeitslosigkeit im dritten Quartal 2013 von 10.4% spricht. Also doch
wesentlich mehr als die 2,9 % von BR Schneider-Ammann. Woher kommt diese
Differenz? Jedenfalls hat sie sicher seit August 2012 nicht so massiv
zugenommen.
Nun existieren eben in der Schweiz
zwei unterschiedliche Definitionen von Arbeitslosigkeit (BFS 2012; siehe auch KOF). Zum einen
weist das Seco jeweils eine sogenannte registrierte
Arbeitslosigkeit aus. Dabei umfassen die registrierten Arbeitslosen alle bei
einem regionalen Arbeitsvermittlungszentrum registrierten Personen, die keine
Stelle haben und sofort vermittelbar sind, unabhängig davon, ob sie eine
Arbeitslosenentschädigung beziehen oder nicht. Da jedoch die Meldung bei einem
solchen Zentrum von verschiedenen Faktoren abhängt, widerspiegelt die Quote der
registrierten Arbeitslosen die tatsächliche Arbeitslosigkeit nur ungenügend.
Zudem sind auch die Kriterien der Registrierung in den einzelnen Ländern
unterschiedlich, und so berechnete Arbeitslosenquoten dürfen deshalb nicht
miteinander verglichen werden.
Aus diesen Gründen hat die
Internationale Arbeitsorganisation ILO eine Definition von Arbeitslosigkeit
entwickelt, welche diese Klippen umgeht und heute international unter anderem
von der EU, der OECD und dem internationalen Arbeitsamt angewendet wird. Als
Erwerbslose gemäss ILO gelten dabei Personen im Alter von 15-74 Jahren, die
- in der Referenzwoche nicht erwerbstätig waren,
- und die in den vier vorangegangenen Wochen aktiv eine Arbeit gesucht haben,
- und die für die Aufnahme einer Tätigkeit verfügbar wären.
Dabei unterschätzt das Seco die
Arbeitslosigkeit vor allem bei den jungen Erwerbspersonen, welch oft lange auf
eine Entschädigung warten müssen und sich deshalb nicht registrieren, sowie bei
den älteren, oft ausgesteuerten Arbeitslosen.
So ist es zu erklären, dass das BFS
eine ILO Arbeitslosenquote von 4.7% im dritten Quartal 2013 ausweist, des Seco
jedoch nur eine solche von 3.0% für den September 2013. Und bei der
Jugendarbeitslosigkeit ergibt sich ein vergleichbare ILO-Quote von eben 10.4%;
das Seco weist nur eine solche von 3.6%
aus.
BR Schneider Ammann arbeitet mit den
Zahlen des Secos, welche wie gesagt die Jugendarbeitslosigkeit massiv
unterschätzen und nicht mit anderen Ländern verglichen werden dürfen. Aber
natürlich, sie sehen für die Lobpreisung der dualen Berufsbildung besser aus.
Allerdings weist auch das BFS
auf die wesentlich höhere Jugendarbeitslosigkeit in der EU hin, die
durchschnittlich über 20% beträgt. Eventuell ist doch etwas daran an der
heilsamen Wirkung des schweizerischen Modells? Dieser Frage wollen wir nun
nachgehen.
Wir
haben also zwei Hypothesen, die wir untersuchen wollen:
1.
Gemäss
BR Schneider-Ammann bewirkt das Modell der dualen Bildung eine geringe
Jugendarbeitslosigkeit. Je höher also der Anteil der Jugendlichen, welche sich
in einer dualen Berufsausbildung befinden, umso tiefer ist - gemäss dieser These - die Jugendarbeitslosigkeit.
2. Gemäss
unserer Hypothese hingegen ist die Jugendarbeitslosigkeit wesentlich
konjunkturell bedingt. Das heisst, je höher die allgemeine Arbeitslosigkeit,
umso höher ist auch die Jugendarbeitslosigkeit.
Und
diesen zwei Hypothesen wollen wir nun nachgehen. Grafik 1 zeigt das Streudiagramm zur
Hypothese 1, das wir auf Grund der Indikatoren der OECD zum Bildungswesen (OECD
2013a) sowie zum Arbeitsmarkt (OECD 2013b) erstellen.
Grafik1:
Jugendarbeitslosigkeit und das Modell der dualen Bildung
Wie wir hier sehen, ist der
Zusammenhang zwischen Jugendarbeitslosigkeit und dem Modell der dualen Bildung
eher schwach. So haben die Länder, welche das Modell der dualen Bildung
(praktisch) nicht kennen und deshalb auch kaum Anteile von Jugendlichen in dieser
Ausbildungsform ausweisen, sehr unterschiedliche Quoten von
Jugendarbeitslosigkeit (auf der linken Seite der Grafik). Japan und Korea etwa
befinden sich mit unter 10% etwa auf demselben Niveau wie die Schweiz, und Israel,
Kanada und Neuseeland sind kaum darüber. Aber es gibt auch Irland, Italien und
Portugal und natürlich die viel zitierten Griechenland und Spanien mit
ausserordentlich hoher Jugendarbeitslosigkeit, welche in der Tat keine duale
Ausbildung kennen. Aber bereits bei dieser Gruppe von Ländern, welche ihren
Jugendlichen andere Ausbildungsformen als die duale Berufsausbildung anbieten,
ist kein systematischer Zusammenhang zur dualen Bildung festzustellen.
Und ähnliches gilt auch aus dem
anderen Blickwinkel, wenn wir jene Länder anschauen, welche nennenswerte
Anteile an dualer Ausbildung ausweisen. Zwar gibt es hier mit der Schweiz,
Deutschland und Österreich drei Länder
mit tiefer Jugendarbeitslosigkeit. Aber eben auch Dänemark, die Slowakei und
Tschechien, die sich eher im Mittelfeld bewegen oder sogar recht hohe Quoten
ausweisen.
Wir haben auch noch eine
Regressionsgerade gerechnet, auch wenn die formalen Voraussetzungen mit der
Häufung von Nullwerten bei der dualen Ausbildung nicht ideal sind. Immerhin ist
klar ersichtlich, dass es zwar eine leicht negative Tendenz gibt, und die
Jugendarbeitslosigkeit mit der Zunahme an dualer Bildung sinkt. Die einzelnen
Punkte sind jedoch recht weit von der Geraden entfernt, was auf einen eher
schwachen Zusammenhang hindeutet. Der sogenannte Determinationskoeffizient R2
zeigt uns denn auch mit einem Wert
von 0.12, dass nur etwa 12% der Variation in der Jugendarbeitslosigkeit durch
die unterschiedlichen Ausbildungsformen erklärt werden können. Die restlichen
88% sind auf andere Faktoren zurückzuführen.
Bei der Hypothese 2 zeigt Grafik 2 unten ein
anderes Bild. Hier ist der systematische Zusammenhang sehr klar erkennbar: Bei
höherer genereller Arbeitslosigkeit finden wir auch höhere Jugendarbeitslosigkeit
und vice versa. So weisen Spanien und Griechenland
mit rund 25% eine sehr hohe generelle Arbeitslosigkeit aus, gleichzeitig aber
auch die höchste Jugendarbeitslosigkeit in der OECD mit rund 55%. Am anderen
Pol befinden sich Länder wie die Schweiz und Norwegen, aber auch Südkorea oder
Japan, die sowohl eine relativ geringe allgemeine Arbeitslosigkeit als auch
eine relativ kleine Jugendarbeitslosigkeit haben. Die einzelnen Länder befinden
sich auch nahe an der errechneten Regressionsgeraden, was auf eine hohe
Aussagekraft dieses Modells hindeutet. Die Regressionsgleichung mit einem
Koeffizienten von 2.24 weist darauf hin, dass die Jugendarbeitslosigkeit in der
Regel etwa zweimal so hoch ist wie die allgemeine Arbeitslosigkeit. Und der Determinationskoeffizient R2
zeigt uns, dass in diesem Modell rund 92% der Variation in der
Jugendarbeitslosigkeit durch die generelle Arbeitslosigkeit erklärt werden
kann. Das ist in den Sozialwissenschaften ein immens hoher Anteil.
Grafik2:
Jugendarbeitslosigkeit und generelle Arbeitslosigkeit
BR Schneider-Ammann ist nicht der
Einzige, der einen engen Zusammenhang zwischen der Jugendarbeitslosigkeit und
dem Modell der dualen Bildung behauptet. Diese These ist inzwischen so etwas
wie ein Allgemeingut in der politischen Diskussion der Schweiz geworden. Die
obenstehenden Analysen zeigen, dass diese These jedoch kaum etwas mit der
Wirklichkeit zu tun hat: Jugendarbeitslosigkeit ist ganz klar ein
konjunkturelles Problem und nicht eine Frage der Modalitäten der beruflichen
Ausbildung. Wer sie bekämpfen möchte, muss deshalb in erster Linie
Arbeitsplätze schaffen, welchem Modell der beruflichen Ausbildung auch immer
ein Land Priorität einräumt.
Die berufliche Ausbildung im dualen
Modell der Schweiz hat sicherlich seine Stärken. Aber wir brauchen sie ja deswegen
nicht gleich heiligzusprechen und ihr Wunder zu unterstellen, welche sie
logisch und empirisch nicht in die Tat umsetzen kann. Sonst verlieren wir die
Fähigkeit, auch eventuelle Mängel und Schwächen rechtzeitig zu bemerken und die
notwendigen Massnahmen zur ständigen Optimierung der nachobligatorischen
Ausbildung zu ergreifen.
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BFS - Bundesamt für Statistik (2012). Arbeit und Erwerb. Definitionen. Neuchâtel: BFS
OECD (2013a). Education at a Glance 2013. Paris: OECD
OECD (2013b). StatExtracts (2013b) LFS by sex and age – indicators. Paris: OECD
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