13.02.2014

Artenschutz

Dieser Post handelt nur wenig von Bildung; aber nach den Ergebnissen der letzten Volksabstimmung muss man sich ja ein paar Gedanken zum Ausländerproblem machen. Obschon, ein wenig ist ja auch die Schule davon betroffen. Denn die ausländische Bevölkerung verursacht ja nicht nur überfüllte Züge, knappen Wohnraum und Dumpinglöhne, sondern auch das, was das Bundesamt für Statistik „kulturelle Heterogenität der Schulabteilungen“ nennt: Schulklassen, in denen 30% oder mehr der Schülerinnen und Schüler ausländischer Nationalität sind oder über eine ausländische Muttersprache verfügen. Vier von zehn Schulklassen in der Schweiz sind in dieser Lage, wo fremdartige Kinder die eingeborenen Mitlernenden durch unschweizerisches Gehabe erschrecken und für die Lehrkräfte eine Herausforderung darstellen: Wie soll man jemandem das Rechnen beibringen, die aus einem Land kommt, wo etwa Eisbein gegessen, oder „Küss die Hand, Gnä‘ Frau“ gesagt oder von der amalfitanischen Küste geschwärmt wird?

Die Menge machts. Und so sind wir ja wieder einmal internationale Spitze mit einem Anteil an ausländischen Staatsangehörigen von 22.3% im Jahre 2012 (gemäss BFS). Da sind die 9% von Deutschland oder die 6% von Frankreich sehr bescheiden und die 4% für die gesamte EU geradezu lächerlich (Daten: BFS).


Ausländische Nationalität – ein klarer Begriff?
Es ist auf den ersten Blick wohl klar, was mit der „Bevölkerung mit ausländischer Nationalität“ gemeint ist. Das ist jener Teil der Wohnbevölkerung, der keinen Schweizer Pass hat und als Erwachsener nicht abstimmen darf, obwohl er hier lebt und in der Regel hier arbeitet und Steuern bezahlt. Auf den zweiten Blick allerdings ist dieser Begriff doch mit einigen Fragezeichen behaftet.
„Ausländer/in“ wird ja vielfach als Bezeichnung für das Fremde, für das nicht zur eigenen Kultur Gehörige, benutzt. Deshalb ist der Begriff und die entsprechende Quote ja auch so anfällig, um Ängste und Abwehrreaktionen hervor zu rufen. Und es ist wohl anzunehmen, dass die geographische Distanz einen wichtigen Indikator darstellt: je weiter weg die Herkunft, umso „fremder“ erscheint uns ein Mensch. Da ist es allerdings schon erstaunlich, dass beispielsweise für Kreuzlingen eine Person aus dem 6 Kilometer entfernten, deutsch sprachigen Konstanz mit dem Etikett „Ausländer/in“ versehen wird, jemand aus dem französisch sprachigen, rund 300 Kilometer entfernten Martigny hingegen nicht in die Quote der ausländischen Bevölkerung einfliesst. Die Legaldefinition der ausländischen Nationalität ist offensichtlich nicht optimal, um die gesellschaftliche Problematik von „Fremdem“ und „Eigenem“ zu betrachten.
Gedankenspiele
Wenn wir diesen Gedanken weiterspinnen, könne wir die Schweiz mit ihren rund 8 Mio Einwohnern mit dem deutschen Bundesland Niedersachsen vergleichen, wo gemäss dem Statistischen Bundesamt etwa gleich viele Leute, nämlich rund 7.8 Mio Leute leben. Falls nun ein Unternehmen Arbeitskräfte sucht, ist das Potential, welches unmittelbar in den eigenen Grenzen verfügbar ist, in der Schweiz und in Niedersachsen etwa gleich. Wenn das Unternehmen jedoch über die Grenzen des eigenen geografischen Raumes hinaus muss, so betrifft dies in der Schweiz sofort die Ausländerproblematik, in Niedersachsen hingegen steht noch ein Raum mit 72 Millionen „einheimischen“ (deutschen) Einwohnerinnen und Einwohnern für die weitere Rekrutierungsstrategie zur Verfügung. Und man stelle sich nun vor (rein hypothetisch natürlich), Niedersachsen würde die Unabhängigkeit von Deutschland deklarieren und einen selbständigen Staat bilden – die Ausländerquote, welche im Moment nur 6.3% beträgt, würde sofort gewaltig ansteigen.


Dieses Beispiel zeigt, dass Ausländeranteile international nicht einfach vergleichbar sind. In der Tat sind Migrationsströme ähnlicher Grössenordnung in grossen Ländern wenig problematisch, da sie oft als Binnenwanderungen auftreten, bei kleinen Ländern jedoch werden sie rasch zu einem „Ausländerproblem“. Und so haben denn auch kleine Länder wie die Schweiz, Luxemburg oder Liechtenstein hohe Ausländeranteile (23%, 43% und 33%), grössere Länder hingegen wie Deutschland, Frankreich oder Grossbritannien (9%, 6% und 8%) vergleichsweise kleine.
Lösungswege für die Schweiz
Das Beispiel zeigt auch Lösungswege für die Schweiz auf, wo ja bekanntlich die hohe Quote von Personen, welche keinen Schweizer Pass haben, für überfüllte Züge, knappen Wohnraum und ähnliche Probleme verantwortlich sein sollen. Wenn beispielsweise die EU sich von einem Staatenbund zu einem Bundesstaat wandelte, also eine eigentliche Nation wie die USA würde, und die Schweiz dann beitritt, dann sinkt die Ausländerquote in der Schweiz um rund zwei Drittel – da ja dann alle EU-Bürger automatisch zu Inländern würden. Dann wäre das Ausländerproblem weitgehend aus dem Weg geschafft, und wir könnten uns jenen Problemen annehmen, welche sich tatsächlich stellen.
Ein anderer Weg wäre geradezu entgegengesetzt. Wir fahren weiter auf dem Weg der Abschottung und verstärken ihn auch innerhalb der Schweiz: Kantone, Regionen, ja auch grössere Gemeinden werden zu eigenständigen Nationen, mit eigenen Zöllen, eigener Währung und eigenen Pässen – natürlich immer mit dem Argument, das wir (auch auf regionaler Ebene) selber und unabhängig von zentralen Instanzen bestimmen wollen. So würden wir immer kleinräumiger die Umgebungen als Ausland definieren, bis wir Alle Ausländerinnen und Ausländer sind. Und so gibt es dann kein eigentliches Ausländerproblem mehr – weil uns niemand ausgrenzen muss/kann -, und wir könnten uns in der Rationalität der Problemlösung dem Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, der Raumplanung, der Siedlungspolitik und sinnvollen Mindestlöhnen widmen. Allerdings hätten wir dann die Schwierigkeit, dass wir Alle mit ausländischer Nationalität kein Stimmrecht hätten, um diese Politik zu bestimmen und zu realisieren.
Fazit
Der Ausländerbegriff wird benutzt, um „Fremdes“ von „Bei uns“ abzugrenzen, wobei „Fremdes“ oft mit Bedrohung und Bösartigkeit assoziiert wird (Lohndumping, Kriminalität, Sozialhilfe-Betrug). Er kann deshalb leicht für das Schüren von Ängsten und emotionale Reaktionen benutzt werden. Eine nähere Betrachtung zeigt allerdings, dass der Begriff und die mit ihm verbundene Ausländerquote für eine Politik, die sich am Postulat der Problemlösung orientiert, irreführend und untauglich ist. Verbunden mit statistischen Taschenspieler-Tricks verleiten sie zu abstrusen Folgerungen und Entscheiden. 

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