05.05.2014

Tells Apfelschuss und die Mindestlöhne

Eigentlich war hier nicht beabsichtigt, die Mindestlohn-Initiative zu kommentieren. Zu einleuchtend ist meines Erachtens das Argument, dass Alle, die Vollzeit arbeiten, in der Lage sein müssen, mit ihrem Verdienst  auch einen anständigen Lebensunterhalt zu bestreiten. Es ist nicht einzusehen, warum der Staat mit rund 100 Millionen via Sozialhilfe Unternehmen subventionieren soll, die im Wettbewerb des freien Marktes nicht mit anständigen Löhnen bestehen können.
Aber neuerdings wird auch argumentiert, die Berufsbildung würde durch die Mindestlöhne gefährdet, da einerseits die Jugendlichen keinen Anreiz mehr hätten, sich ausbilden zu lassen, und andererseits die Unternehmen es sich nicht mehr leisten könnten,  bei solchen Löhnen auch noch Lehrstellen zu schaffen (siehe Ursula Renold, NZZ am Sonntag vom 27. April 2014). Und da ja in der Mythologie  zur historischen Erfolgsgeschichte der Schweiz die Berufsbildung etwa auf dem Level von Tells Apfelschuss figuriert, lohnt es sich doch, diese Argumente etwas näher zu betrachten.
Logik 1
Das erste Argument behauptet, mit einem Mindestlohn von CHF 4000 hätten die Jugendlichen keinen Anreiz mehr, eine Lehre anzutreten;  sie würden lieber direkt in den Arbeitsmarkt gehen und einen Normallohn beziehen. Nun mag ja kurzfristiges Profitdenken in der Wirtschaftswelt durchaus weit verbreitet sein; auf dieser Schiene fahren die Jugendlichen jedoch offensichtlich nicht. Bereits heute könnten sie ja in einem Volljob als Ungelernte wesentlich besser verdienen als mit dem kleinen Lehrlingslohn. Und wenn man das Argument zu Ende denkt, gäbe es kaum mehr Ärzte, Notare oder Ingenieure. Eine gymnasial-akademische Karriere bedeutet ja, nach der obligatorischen Schule  während acht bis zehn Jahren Ausbildung, keinen Lohn zu erhalten. Jugendliche denken offensichtlich langfristiger, und ein guter Mindestlohn nach der Lehre macht die Berufsausbildung wesentlich attraktiver als heute, wo rund 10% der Berufsleute mit Lehrabschluss auf einer Tieflohnstelle sitzen.

                                Quelle: BFS 2010

Und dass viele Lehrstellen unbesetzt bleiben, liegt nicht daran, dass die jungen Leute den direkten Einstieg in eine Normalstelle bevorzugen, sondern ist die Folge der teilweise überrissenen Anforderungen, welche die Arbeitgeber an die Lehrstellen Suchenden stellen, wie Margrit Stamm in einer Studie festgestellt hat.
Logik 2
Das zweite Argument besagt, die Betriebe hätten bei so hohen Mindestlöhnen keine Mittel mehr, Aus- und Weiterbildung zu betreiben. Nun ist ja die Berufsausbildung ebenso wie die Weiterbildung nicht eine Wohltätigkeits-Aktivität der Unternehmen, sondern folgt ebenso der ökonomischen Logik wie das Alltagsgeschäft. Der Schweizerische Bildungsbericht 2014 (Seite 134) ist dieser Frage nachgegangen und zeigt, dass die Berufsausbildung für die beteiligten Betriebe eine profitable Angelegenheit darstellt. Die Lernenden erbringen während der Lehrzeit ja auch produktive Beiträge in Form von Arbeit, und diese Beiträge übersteigen die Kosten der Ausbildungsleistungen der Betriebe. Das heisst, die ausbildenden Betriebe benutzen die Lernenden als billige Arbeitskräfte und profitieren von ihnen. Dies ist der direkte Nutzen. Der indirekte Nutzen besteht gemäss Bildungsbericht darin, dass es später teurer käme, die Leute anzulernen. Und ähnlich dürfte es sich bei der Weiterbildung verhalten. Nun ist ja zu erwarten, dass bei steigenden Kosten der Normallöhne versucht wird, mehr von den billigeren Arbeitskräften (Lehrverhältnisse) zu profitieren. Gemäss der Profitlogik dürften also eher mehr Lehrstellen als weniger geschaffen werden.
Die Legendenbildung zum nationalen Wohlbefinden ist nicht ein unschuldiges Geschäft. Sie dient vielfach den Interessen der privilegierten Schichten und damit der Verfestigung bestehender Machtverhältnisse. Allerdings zeigt ein etwas genauerer Blick oft, dass sie mit Logik oder empirischer Realität wenig zu tun haben. Tells Apfelschuss kann auch daneben gehen. 

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